Zu groß. Falsche Region. Falscher Ort. Fragwürdiges Verfahren. Fragwürdiger Betreiber.

Und:

Was hat die Gemeinde eigentlich davon?

Falsche Region

450.000 – 600.000 Tonnen Substrat sollen im Jahr vergoren werden, davon der größte Teil Gülle und Mist. Ausgerechnet in einer Region mit niedrigem Tierbestand. Zum Vergleich: Seit die Bio-Methangasanlage in Güstrow einen neuen Betreiber hat, vergärt auch diese Anlage nur noch landwirtschaftliche Reststoffe, so wie bei Shell vorgesehen. Sie ist die größte dieser Art weit und breit und speist ’nur‘ 150.000 Tonnen im Jahr ein – also ein Drittel bis ein Viertel von dem, was Shell vorhat. Verständlich, dass die Planung der Mega-Anlage von Shell anderen Betreibern Sorge macht. Vor allem die kleineren Anlagen würden den Konkurrenzkampf um Substrate verlieren und aufgeben müssen.

Bis heute (Stand September 2024) hat Shell trotz mehrmaliger Aufforderung nicht nachgewiesen, dass die Substrate aus einer ökologisch angemessenen Entfernung heranzuschaffen sind. Die Transportwege, von denen Shell spricht, werden immer länger. Bei einer Folienpräsentation im März wurde bereits von einem 100-Kilometer-Radius gesprochen, aus dem Gülle und Mist herangeschafft werden sollen. Die Transportwege sollten aber nie größer sein, als der Energiegehalt des Substrats. Das sind bei Gülle 15 Kilometer, alles darüber hinaus ist ökologisch unsinnig. Die Zunahme von LKW-Verkehr ist außerdem eine Belastung für die betroffenen Ortschaften. Da die Herkunft der Substrate nicht geklärt ist, ist das schon lange angemahnte Verkehrskonzept immer noch unvollständig und nicht nachvollziehbar. Jeder Kilometer mehr im Einzugsgebiet bedeutet mehr LKW-Verkehr. Da die LKW-Maut ausgedehnt werden soll, werden immer mehr Ortschaften davon betroffen sein.

Zu befürchten ist, dass die schiere Größe der Anlage und ihre dauerhaft hohe Nachfrage nach Substraten dazu führt, dass langfristig auch nachwachsende Rohstoffe vergoren werden und die Pachtpreise für landwirtschaftliche Flächen steigen. Für Landbesitzer mag das gut sein, für viele Betriebe, die auf Pachtland angewiesen sind, kann das das Ende bedeuten. Zu befürchten ist auch, dass eine so große Anlage Tiermastanlagen anzieht.

Falscher Ort

Die Anlage soll außerhalb des Gewerbegebietes auf einem bisherigen Acker gebaut werden. In der Gemeinde gab es bis dahin ein ungeschriebenes Gesetz, dass der Ort Karstädt nicht umbaut werden soll. Insbesondere die Zuwegung ins Naherholungsgebiet und zum Biosphärenreservat sollte frei bleiben. Damit wäre dann Schluss. Ausgerechnet hier würde eine große Industrieanlage entstehen. Die Nähe zum Ort bedeutet außerdem ein hohes Sicherheitsrisiko. Die Anlage würde nach der Störfallverordnung betrieben, müsste also hohe Sicherheitsstandards erfüllen, aber Extremwetterereignisse, die immer häufiger werden, sind in dieser Verordnung nicht berücksichtigt. Eine Havarie hätte schwere Folgen für die nahegelegenen Ortsteile.

Neben den Abgasen durch zusätzliche Verkehre wird von der Anlage immer wieder eine Geruchsbelästigung ausgehen. Die übliche Windrichtung geht zum Ort hin. Die Betreiber der Anlage gleichen Typs in Dänemark bieten den Anwohnern im Umkreis von 2 Kilometern die Möglichkeit, sich auf eine Liste für SMS-Warnungen setzen zu lassen, damit sie vor Reinigungen in der Anlage oder anderen Anlässen für Gestankentwicklungen gewarnt werden können. Der Schornstein für die Abluft ist dort wegen möglicher Geruchsbelästigung 60 Meter hoch. Ein Besuch vor Ort hat gezeigt: Aus diesem Schornstein entweicht in der dänischen Vergleichsanlage täglich Schwefelwasserstoff, weil die Filteranlage nach 2 Betriebsjahren immer noch nicht funktioniert. Bei den Anwohnern in Windrichtung stinkt es nach faulen Eiern. Das bestätigen viele Zeitungsberichte in der dänischen Regionalzeitung aus denen wir auch von anderen Problemen mit Shell /  Nature Energy-Anlagen erfahren haben.

Fragewürdiges Verfahren

Am 9. Dezember 2021 stellte Shell sein Projekt kurz ( 15 Minuten heißt es im Protokoll ) in der Gemeinderatssitzung vor. Es gab eine ebenso kurze Diskussion, in der bemängelt wurde, dass es keine Beratung im Bauausschuss und keine Vorstellung und Diskussion im Ortsbeirat gab und Informationen wie z.B. ein Verkehrskonzept fehlen. Trotzdem wurde der Aufstellungsbeschluss einstimmig gefasst. Das ist ein ungewöhnlicher Vorgang. Die Reihenfolge hätte anders herum sein müssen: erst liegen alle wichtigen Informationen über ein Vorhaben vor, dann wird es eingehend beraten, in den betroffenen Gemeindeteilen vorgestellt und ein Votum dazu eingeholt, dann wird der Aufstellungsbeschluss gefasst oder eben nicht.

Mit einem Aufstellungsbeschluss wird ein Bauleitverfahren eingeleitet. Die üblichen Mittel der direkten Demokratie, ein Bürgerbegehren und dann ein Bürgerentscheid, sind im Bauleitverfahren laut Kommunalverfassung ausgeschlossen. Die Bürgerbeteiligung ist beschränkt auf Einwände gegen einzelne Punkte des Bauvorhabens, eine grundsätzliche Ablehnung ist nicht mehr möglich. Deshalb sagen wir: dieses Verfahren war von Anfang an undemokratisch.

Der Aufstellungsbeschluss wurde zwar veröffentlicht, aber er wurde kaum wahrgenommen. Biogas-Anlagen sind im ländlichen Raum etwas sehr Normales. Vermutlich deshalb gab es zu dem Zeitpunkt noch keine Proteste. Es fiel nicht ins Auge, dass es sich hier um keine landwirtschaftliche, sondern eine industrielle Anlage mit weitreichenden Auswirkungen handelt. Anfang 2023 wurde von Shell dann ein Entwurf für den Bebauungsplan vorgelegt. Erstaunlich an den ausgelegten Unterlagen war: Der Planentwurf weicht sehr stark von den Angaben ab, die Shell bei der Gemeinderatssitzung im Jahr 2021 gemacht hatte. Damals ging es um 10 Hektar Fläche, im Planentwurf sind es 18 Hektar; aus 450.000 Tonnen Substrat, die im Jahr vergoren werden sollen, sind 600.000 geworden; von 30 – 40 Arbeitsplätzen bleiben 10 – 20 übrig. Fragen nach den Gründen für diese Abweichungen wurden weder von Shell noch vom Bauamt beantwortet. Es ist für uns erstaunlich, dass die Gemeindeverwaltung den Planentwurf trotz dieser großen Abweichungen vom Aufstellungsbeschluss überhaupt akzeptiert und ausgelegt hat. In dem Stil ging es 2023 weiter. Angaben zu Anlage durch den Betreiber waren widersprüchlich oder nicht nachvollziehbar. Eine ausführliche Chronologie mit Beispielen dafür wird demnächst auf dieser Webseite stehen.

Fragwürdiger Betreiber

Shell ist ein multinationaler Konzern, was sich nicht so schön anhört, wie die Formulierung, die in unserer Verwaltung gerne benutzt wird: ‚Weltunternehmen‘. Wir sind der Meinung: Ein kleines Bauamt mit vielen Bauleitverfahren und Anfragen kann ein solches Projekt nicht ausreichend kontrollieren, und die Kommune verfügt nicht über die Ressourcen, um ggf. teure Rechtsstreitigkeiten mit einem Konzern wie Shell führen zu können.

Wie kommen wir darauf, dass es zu Rechtsstreitigkeiten kommen könnte? Im September 2023 war in der Presse zu lesen, dass der US-Bundesstaat Kalifornien die großen Ölkonzerne, darunter Shell, auf Schadensersatz verklagt, weil sie bereits in den 1970er Jahren aus eigener Forschung Belege dafür vorliegen hatten, dass ihre Produkte zu einer massiven Klimaerwärmung führen werden. Auch die Folgen waren intern bekannt. Als Reaktion pumpte der Lobbyverband der Ölkonzerne massiv Geld in Öffentlichkeitsarbeit, um systematisch Zweifel am Wahrheitsgehalt der Klimaforschung zu schüren.

Das liegt aber doch lange zurück und die Konzernpolitik könnte sich geändert haben? In manchen Punkten vielleicht (Shell hat z.B. diesen speziellen Lobbyverband der Ölmultis verlassen), aber nicht im Grundsatz. So ist Shell mehrfach für ‚dreistes‘ Greenwashing gerügt worden. Das unterscheidet Shell nicht von anderen Konzernen. Es sollte aber allen Verantwortlichen in der Gemeinde deutlich machen, dass sich Konzerninteressen von Gemeinwohlinteressen unterscheiden und im Konfliktfall die Möglichkeiten sehr ungleich sind. Das anzuerkennen ist schlicht eine Frage der Vernunft.

Was hat die Gemeinde davon?

Seit Monaten fragen wir uns: Was hat die Gemeinde, was haben wir eigentlich davon? Das Gas anderer Bio- oder Bio-Methangasanlagen steht für Strom oder Wärme vor Ort zur Verfügung. Das Methangas von Shell Karstädt würde aber in die Überlandleitung eingespeist, in Köln zu LNG verarbeitet und von dort aus vermarktet. Nur vier Prozent davon sollen an die Gemeinde verkauft werden. Man kann damit vielleicht 100 Haushalten heizen. Aber die könnten Biogas genauso gut von anderen Anbietern beziehen. Und Gewerbesteuer? Irgendwann, wenn die hohen Kosten für die Anlage mit dem Gewinn verrechnet sind. Und wenn sie nicht verkauft wird. Dann nämlich geht die Verrechnung der Kosten mit dem Gewinn wieder von vorne los.

Über zwei Jahre sind bereits vergangen seit Beginn des Bauleitverfahrens und immer noch sagt der Bürgermeister auf den Nutzen für die Gemeinde angesprochen: „Irgendetwas wird schon dabei rumkommen“.